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Werkeinführung

Thomas Buchholz: OrgelErwachen - Partita zur Wiedereinweihung der Wäldner-Orgel im Kloster Michaelstein

Die vorliegende Komposition mag die musikwissenschaftliche Diskussion um den Terminus „Partita“ erneut ins Wanken bringen: denn es handelt sich hier nicht um Tänze in der Art einer Suite noch um Variationen über ein Choralthema oder eine sonstige Variationsfolge. Vielmehr ist es eine zyklische Sammlung von Miniaturen, deren Sinn darin besteht, die Register und Klangmöglichkeiten der einmanualigen Orgel von 1850/51 des Hallenser Orgelbauers Friedrich Wilhelm Wäldner (1785-1852) vorzustellen. Im ersten Stück werden alle musikalischen Bausteine für die folgenden Stücke in einem dramaturgisch geformten Konglomerat vorgestellt. Nur das eigentliche Thema erklingt vollständig erst im letzten Satz der Partita, sozusagen als feierliche Zusammenführung des bisher in Teilen gehörten. Weil mir für diese Art der formalen Gestaltung der Begriff fehlt, und ich das viel verwendete Fremdwort Metamorphose nicht weiter stapazieren wollte, entschied ich mich für die Bezeichnung Partita.

Diese Orgel hat mich ein Stück meines Lebens begleitet. Als ich nach meinem Berufsabschluss bei der Firma Blüthner 1981 für einige Monate in Michaelstein Arbeit als Musikinstrumentenrestaurator fand, fielen mir auch die seit 1986 dort eingelagerten Orgelteile in die Hände, die von jener in Morl bei Halle aus einer verfallenen Kirche geretteten Orgel stammten. Beim Umlagern der Orgelpfeifen war offenbar mit Unkenntnis verfahren worden: Pfeiffen verschiedener Register waren derart durcheinander geraten, weil beim Einlagern die Pfeifen ohne Beachtung ihrer Bauform lediglich nach der Größe sortiert wurde. Wie ich mich erinnere, beschäftigte mich dieses Puzzle einige Zeit. Zusammen mit Kollegen konnte ich mich dann am groben Aufbau der Orgelfragmente im Refektorium beteiligen. Musikinstrumentenrestauratoren und Orgelbauer aus Halle und Leipzig haben das Werk dann bis 1989 restauriert. Im Sommer 1990 spielte ich die Orgel erstmalig beim Internationalen Sommerkurs junger Instrumentalisten.

Nach meinem Musikstudium in Leipzig war ich regelmäßig Gast im Kloster und genoss das Vertrauen von Eitelfriedrich Thom, der mich bei vielen Belangen des Klosterlebens hinzuzog. So war es nicht verwunderlich, dass mich Dr. Thom zu den Internationalen Sommerkursen als Dozent für zeitgenössische Musik einlud. Meine Aufgabe bestand im Einstudieren von neuen Werken. Neben dem vorliegenden Repertoire kam es dazu, dass ich eigene Stücke beisteuerte. Weniger aus kompositorischem Eifer, sondern aus der Notwendigkeit für die teilweise in ungewöhnlichen Formationen musizierenden Jugendlichen, Stücke in geeignetem Schwierigkeitsgrad zu haben. Anfangs waren das Kammermusikstücke, ab 1991 folgten größere Werke für Orchester. Da die Konzerte der Sommerkurse immer im Refektorium stattfanden, reizte mich selbstverständlich die Einbeziehung der Orgel in den Orchesterapparat. So entstand für dieses Instrument in Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller Gert Neumann (*1942) das Melodram „Deuterosen“, in dem die Wäldner-Orgel ihre erste Aufgabe als modernes Orchesterinstrument erfüllte. Selbstverständlich waren keine Organisten unter den Teilnehmenrn, so dass ich meinen Orgelpart selbst übernahm und einer der Dozenten dirigierte. Die Urauffürung fand am 10. August 1996 statt. Später gab es Aufführungen mit Hans Peter Minetti als Sprecher in Halle und Berlin. Die Verbindungen mit Michaelstein waren nie abgerissen. Mit Aloisia Assenbaum fand ich nicht nur eine wohlgesonnende Direktorin, sondern eine engagierte Interpretin meiner Musik. Für sie und ihren Mann, den berühmten Barockgeiger John Holloway, entstanden 1998/99 die „Trois Airs Baroques“ für Violine und Orgel. Dass ich 2017 erneut für die Wäldner-Orgel komponieren konnte, verdanke ich dem Auftrag der Gesellschaft der Freunde Michaelstein e.V. und der Unterstützung des Leiters der Landesmusikakademie Kloster Michaelstein, Peter Grunwald. Die Uraufführung findet am 4. März 2018 zur Wiedereinweihung der Wäldner-Orgel nach Reparatur und Restaurierung statt. Als Organist wirkt Michael Schönheit.

Zur Aufführungspraxis:
Die Orgel aus der Dorfkirche in Morl, die im Refektorium des Klosters Michaelstein ihre Heimstatt gefunden hat, war nicht als Konzertinstrumente konzipiert, sondern für den liturgischen Gebrauch. Viele Orgelstücke aus dem 19. Jahrhundert, die nicht die mehrmanualige Konzertorgel verlangen, lassen sich darauf ebenso musizieren wie Werke des 17. oder 18. Jahrhunderts, wenn man die Registrierung mit stilistischem Feingefühl vornimmt. Die vorliegende Partita kann selbstverständlich nicht nur in Michaelstein, sondern vor allem auf Orgel des 19. Jahrhunderts, die für die Kirchen in den kleineren Gemeinden auf den Lande gebaut wurden, eingerichtet und aufgeführt werden. Zum Vergleich mit anderen Instrumenten gebe ich nebenstehend die Disposition der Orgel und die Anordnung der Registerknöpfe zur Kenntnis. Wenn man sich an die Registervorgaben im Stück hält, wird ein Registrant nötig sein, um eine flüssige Aufführung zu garantieren. Auch wenn die Orgel kein Konzertinstrument ist, so ist die Partita dennoch ein Konzertstück, welches einen geübten Orgelspieler verlangt. Es ist technisch möglich, die einzelnen Teile der Partita in anderer Reihenfolge oder auch als einzelne Stücke aufzuführen, macht aus meiner Sich jedoch keinen Sinn. Ein Umregistrieren für große Konzertorgel und die Aufführung auf einem solchen Instrument kann ich mir nicht vorstellen. Aber was ich mir nicht vorstellen kann, muss nicht unmöglich sein.

Die Disposition der Wäldner-Orgel im Kloster Michaelstein


Disposition

Halle, Dezember 2017 Th. Buchholz





© 2006 Thomas Buchholz - Komponist

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