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Werkeinführung

Thomas Buchholz: Vierzehn Zustände zu Bach

Den meisten (europäischen) Komponisten des vergangenen 20. Jahrhunderts war das Werk von Johann Sebastian Bach eine Meßlatte für Qualität und eine immer erneute Herausforderung. Dabei haben sie sich immer wieder mit Bach auseinandergesetzt. Sei es durch Übernahmen, durch Kopien, durch Bearbeitungen oder auf andere Weise. Und die großen Bach-Jubiläen 1950 und 1985 haben ebenfalls für eine Vielzahl neuer Kompositionen gesorgt. Daher habe ich etwas gezögert, mich musikalisch über Bach zu äußern.
Bach selbst hat sich auf verschiedene Weise mit den klangvollen Buchstaben seines Namens beschäftigt. Und die nachfolgenden Komponistengenerationen hatten spätestens im 19. Jahrhundert (Schumann, Liszt, Reger) diese Klangreise fortgesetzt. Nun ist aber nach meiner Auffassung die Tonfolge B-A-C-H in ihrer tonartlichen Offenheit nur im tonalen Komponieren interessant. Was weniger Menschen wissen, Bach hat seinen Namen auch anders musikalisiert. Im berühmten Bach-Öl-Portrait von Elias Gottlieb Haussmann (1746) hält Bach dem Betrachter ein Notenblatt entgegen, so dass es lesbar  ist. Es enthält einen Triplexkanon zu 6 Stimmen. Als Bach im Juni 1746 der Mizlerschen Sozietät in Leipzig beitrat, mußte er laut § 21 der Satzungen ein Bild auf Leinwand der Gesellschaft übergeben. Obwohl er nach Händel (= 11. Mitglied) hätte 1746 beitreten können, wartete Bach bis 1747, um als 14. Mitglied jene Zahl zu erfüllen, die seinen Namen symbolisiert: B=2., A=1., C=3. und H=8. Buchstabe des Alphabets; die Summe ist 14. Friedrich Smend (1950) gebührt das Verdienst der Enträtselung des Kanons. Der Kanon ist zugleich Spiegel- als auch Krebskanon. Bei der Intervallzählung der Kanonzüge kommt man immer auf die Summe 14; in der Mitte der untersten Kanonzeile ergibt sich sogar Bachs voller Name: J=9, S=18, B=2, A=1, C=3 und H=8 - Summe = 21 (Bachs Geburtstag). Die Umkehrung von 14 ergibt den vollen Namen. Diese Zahlenallegorie (Anzahl als Begriff) war für mich eine Möglichkeit, mit Bach umzugehen.
Für seine Zeit ist Bach undefiniert. Er ist sozusagen der Sonderfall der Geschichte. Seine Musik war außergewöhnlich kühn, und das betraf nicht unbedingt den Kontrapunkt, sondern grundlegend die Harmonie. Der Farbenreichtum seiner Musik ist das Ergebnis gewagtester Harmonisierung und liegt damit weit über dem Niveau der Zeitgenossen. Seine bewunderte Kontrapunktik ist nur durch diesen Spürsinn für Farbe möglich gewesen. Wie ein Kontrakt beweisen dies seine Choräle.  Vierzehn mal Bach reflektieren. Vierzehn Farben. Vierzehn Zustände.

Halle, 1999 Th. Buchholz





© 2006 Thomas Buchholz - Komponist

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